Szymon Askenazy, ein herausragender Historiker, Begründer der Schule der polnischen Geschichtsschreibung, Diplomat und Förderer der jüdischen Assimilation, starb am 22. Juni 1935.
Er wurde 1865 in Zawichost an der Weichsel in einer orthodoxen jüdischen Familie geboren, die im Handel tätig war. Er wuchs in einer Atmosphäre des polnischen Patriotismus auf. Er hat an der Universität Warschau Rechtswissenschaften und an der Universität Göttingen Geschichte studiert. Nach seinem Abschluss ließ er sich in Lemberg nieder, wo er an der Universität als Dozent und Leiter des Lehrstuhls für moderne polnische Geschichte arbeitete.
Er interessierte sich für die polnische Geschichte des 18. und frühen 20. Jahrhunderts, für politische Fragen und internationale Bedingungen. Bei seinen Recherchen stützte er sich häufig auf diplomatische Quellen. Er schuf eine Schule der historischen Analyse, die Askenazy-Schule genannt wird. Er war berühmt für sein ausgezeichnetes Gedächtnis und seine Vorträge, die er ohne Notizen hielt. Er wollte die politische Bildung der Polen beeinflussen. Er wandte sich gegen die Ideen der Krakauer Geschichtsschule, die die Ursache für den Zusammenbruch von Polen-Litauen vor allem in dem anachronistischen politischen System sah.
Er war an Aktivitäten beteiligt, die auf die Assimilierung der polnischen Juden abzielten. Gemeinsam mit Hipolit Wawelberg gründete er einen Unterstützungsfonds für jüdische Studenten und junge Wissenschaftler. Er erforschte auch die Geschichte der Juden in Polen und war einer der Gründer der Zeitschrift „Kwartalnik Poświęcony Badaniu Przeszłości Żydów w Polsce” (dt. Vierteljahresschrift zur Erforschung der jüdischen Vergangenheit in Polen).
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ging er in die Schweiz. Er war einer der Mitbegründer des Hilfskomitees für Kriegsopfer in Polen. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens war er bevollmächtigter Minister beim Völkerbund in Genf. Er setzte sich auch mit seinen Publikationen für die polnischen Interessen ein (er veröffentlichte das berühmte Buch „Danzig und Polen”, das ins Englische, Französische und Deutsche übersetzt wurde). Viele bedeutende polnische Historiker waren seine Schüler, z. B. Władysław Konopczyński oder Marian Kukiel.
Szymon Askenazy ist auf dem jüdischen Friedhof in Warschau begraben.