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März 1968

von DignityNews.eu

Am 8. März 1968 fand im Zentrum von Warschau, im Hof der örtlichen Universität, eine Protestkundgebung statt, an der mehrere tausend Studenten teilnahmen. Die brutale Niederschlagung durch die Ordnungskräfte der Volksrepublik Polen führte zu den Ereignissen des März 1968, die sich auf andere polnische Städte ausweiteten. Eine der Folgen war eine verstärkte antisemitische Kampagne der kommunistischen Behörden, die zur Auswanderung Tausender polnischer Juden führte. Der staatliche Antisemitismus war bereits ein Jahr zuvor deutlich geworden, als Władysław Gomułka in einer öffentlichen Rede erklärte, dass die in Polen lebenden Juden dem Land geschadet hätten.

In den 1960er Jahren wuchsen im kommunistischen Polen politische Unruhen. Es war die Folge der zunehmend repressiven Politik der Behörden gegenüber der polnischen Gesellschaft. Zunächst kündigte nichts diese ungünstigen Veränderungen an — es schien, als wolle der Erste Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR), Władysław Gomułka (1905-1982), der 1956 an die Macht kam, das politische und gesellschaftliche Leben liberalisieren. Unter anderem milderte er die Haltung der PRL-Behörden gegenüber der katholischen Kirche. Der Beweis dafür war die Freilassung des Primas von Polen, Kardinal Stefan Wyszyński. Gomułka ordnete auch die Freilassung von Personen an, die aus politischen Gründen inhaftiert waren. Diese Periode, die der polnische Dichter Tadeusz Różewicz als „eine kleine Stabilisierung” bezeichnete, dauerte jedoch nicht lange an. 

Die Zensur wurde bald wieder verschärft, und die politische Polizei — der Sicherheitsdienst (poln. Służba Bezpieczeństwa, SB) — begann wieder eine wichtige Rolle zu spielen. Als Reaktion auf die kommunistische Kulturpolitik brachte im März 1964 eine Gruppe polnischer Schriftsteller und Intellektueller ihren Widerstand gegen die zunehmende Zensur zum Ausdruck, der als Brief der 34 bekannt wurde. Sein Inhalt wurde in der Öffentlichkeit verbreitet und ins Ausland übermittelt. Die Behörden reagierten mit Repressalien gegen die Unterzeichner des Briefes, indem sie u. a. den Druck ihrer Publikationen verboten.

Auch der Kampf gegen die katholische Kirche flammte neu auf, was sich beispielsweise in der umfassenden Überwachung aller Geistlichen durch Sicherheitsbeamte äußerte. Darüber hinaus begannen die Behörden ab 1966, mit Vertretern der katholischen Kirche im Zusammenhang mit der Organisation der Feierlichkeiten zum1000-jährigen Jubiläums der polnischen Taufe zu kämpfen. Die Kommunisten wollten nämlich nur das tausendjährige Bestehen des polnischen Staates feiern. 

Zu dieser Zeit kam es im Machtapparat selbst zu entscheidenden Veränderungen. Um den damaligen stellvertretenden Innenminister Mieczysław Moczar bildete sich eine informelle Gruppe, die aufgrund ihrer Aktivitäten in der kommunistischen Widerstandsbewegung während des Zweiten Weltkriegs als „Partisanen” bezeichnet wurde. Sie setzten sich dafür ein, dass die sowjetischen Behörden ihre Unterstützung für Gomułka zurücknehmen. In ihren Reden bedienten sich die „Partisanen” einer kommunistischen Rhetorik mit einer stark anti-intellektuellen und nationalistischen Aussage und forderten u. a. die Entfernung von Menschen jüdischer Herkunft aus wichtigen staatlichen Positionen. Gleichzeitig wurden auch von Gomułka selbst antisemitische Parolen geäußert, die eine besondere Bedeutung erlangten, nachdem die kommunistischen Behörden Polens als Reaktion auf den so genannten Sechstagekrieg nach dem Vorbild der Sowjetunion die diplomatischen Beziehungen zu Israel abgebrochen hatten. Diese Schritte bedeuteten, dass ein offener Fraktionskampf innerhalb der Kommunistischen Partei begonnen hatte, dessen Opfer das jüdische Volk sein sollte.

Der Auslöser für die Ereignisse im März 1968 war der Ausbruch von Studentenprotesten wegen einer Theateraufführung „Dziady” (dt. Totenfeier) von Adam Mickiewicz, einem bedeutenden polnischen Nationaldichter, der in der Zeit der Romantik schrieb. 

Die Erstaufführung von „Dziady” fand am Samstag, dem 25. November 1967, auf der Bühne des Nationaltheaters in Warschau statt. Regie führte Kazimierz Dejmek, der damalige Direktor dieser Kultureinrichtung. Die Aufführung fand im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution von 1917 statt, durch die die Kommunisten in Russland die Macht erlangten. Die Aufführung war äußerst populär und wurde von vielen Zuschauern begeistert aufgenommen. Das Publikum reagierte lebhaft auf die antizaristischen Themen, die in dem Stück vorkamen, und zeigte auf verschiedene Weise seine antirussische und damit antikommunistische Haltung. Dies gefiel den PRL-Behörden nicht.

Als Reaktion auf das spontane Verhalten des Publikums beschränkten die kommunistischen Behörden die Zahl der Aufführungen auf eine pro Woche. Trotzdem wurde Dejmek am 21. Dezember 1967 von den kommunistischen Parteibehörden zu einem Gespräch vorgeladen.  Wincenty Kraśko, der damals die Kulturabteilung der PZPR leitete, erschien in dem Namen  der Behörden vor dem Regisseur. Er erklärte, die Aufführung sei „antirussisch, antisowjetisch und übertrieben religiös”, und Władysław Gomułka selbst bezeichnete sie als „Messerstich in den Rücken der polnisch-sowjetischen Freundschaft”. 

Mitte Januar 1968 teilte das Ministerium für Kultur und Kunst der Leitung des Nationaltheaters mit, dass „Dziady” nur noch bis zum Ende des Monats gespielt werden könne. Zur letzten Aufführung am 30. Januar 1968 versammelten sich zahlreiche Menschen, vor allem Studenten der Warschauer Universitäten. Während der Aufführung wurden Rufe wie „Unabhängigkeit ohne Zensur”, „Wir wollen ‚Dziady’” und der Name des Regisseurs skandiert. Nach der Aufführung formierte sich eine Prozession, die zum Adam-Mickiewicz-Denkmal in der Krakowskie-Przedmieście-Straße in Warschau marschierte. Dort griffen die Sicherheitskräfte ein und nahmen mehr als 30 Personen fest. Die Demonstranten bereiteten auch eine Petition vor, in der sie die Wiederaufnahme der Aufführung von „Dziady” forderten. In dieser Forderung wurden sie bald von Künstlern unterstützt, die sich in der Warschauer Niederlassung des Verbands der Polnischen Literaten (poln. Związek Literatów Polskich)  versammelt hatten. 

Anfang März eskalierte die Situation, als zwei Studenten, Adam Michnik und Henryk Szlajfer, von der Universität Warschau verwiesen wurden, weil sie an den Protesten vom 30. Januar teilgenommen und ausländischen Journalisten darüber berichtet hatten. Daraufhin organisierte die Studentengemeinschaft am 8. März eine Protestkundgebung an der Universität, an der mehrere tausend Menschen teilnahmen. Die Demonstranten forderten erneut die Wiederaufnahme der Aufführung von „Dziady”, die Wiederzulassung der von der Universität verwiesenen Studenten und die Beendigung der Repressionen gegen die Teilnehmer des Marsches vom 30. Januar 1968. 

Polizeieinheiten erschienen in der Nähe der Universität und begannen mit einer brutalen Befriedung und Verhaftungen. Am nächsten Tag begann ein Solidaritätsprotest an der Technischen Universität Warschau. Auch in anderen akademischen Zentren Polens (Krakau, Lublin, Wrocław, Poznań und anderen) kam es zu Studentenstreiks. Überall wurden sie von den Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen. Die Behörden begannen, die Inhaftierten zu unterdrücken. Im ganzen Land wurden mehrere Tausend Studenten von den Universitäten relegiert, und mehrere Hundert wurden vor Gericht verurteilt.

Die kommunistischen Behörden begannen, gezielte Unterstützungskundgebungen zu organisieren, in denen die Studentenproteste verurteilt wurden. Władysław Gomułka wiederum betonte am 19. März 1968 die Unzulässigkeit antisowjetischer Reden während der Aufführung von „Dziady” und kritisierte die Studentenproteste scharf, wobei er die jüdische Herkunft ihrer Initiatoren hervorhob, was die antisemitische Haltung in den Reihen der Kommunistischen Partei verstärkte. 

Eine der Folgen dieser kommunistischen Kampagne war eine Auswanderungswelle der jüdischen Bevölkerung aus Polen, die etwa 15.000 Menschen umfasste. Unter ihnen befanden sich Vertreter der Wissenschaft, der Kultur, Journalisten, aber auch etwa 200 ehemalige zivile und militärische Sicherheitsbeamte, die für die politische Repression während der stalinistischen Zeit verantwortlich waren, darunter der ehemalige kommunistische Militärrichter Stefan Michnik — Halbbruder von Adam Michnik.

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