Viele Juden nahmen während des Ersten Weltkriegs auf beiden Seiten der Konfliktmächte, darunter auch auf der Seite der Teiler Polens, an den Kämpfen teil [Link: https://dignitynews.eu/de/polnische-juden-in-den-armeen-der-teilungsmaechte/]. Tausende von ihnen identifizierten sich als Polen mosaischen Glaubens während der Teilung, während des Kampfes um die Wiedergeburt der Rzeczpospolita und in der Zwischenkriegszeit. Sie kämpften für Polen, da sie oft in assimilierten Familien aufgewachsen waren. Sie fühlten sich als Juden und Polen verantwortlich für das Schicksal des Landes, das ihre Heimat war. Andere assimilierten sich an das Polentum, als sie während des Ersten Weltkriegs in polnischen bewaffneten Formationen dienten.
Für viele nationale Minderheiten, die inmitten der von Russland, Preußen und Österreich versklavten polnischen Nation aufwuchsen, war der Kampf um die Unabhängigkeit die Inspiration für ihren eigenen Aktivismus. Dies galt auch für die jüdischen Bewohner der polnischen Teilungsgebiete. Nach dem Beispiel von Berek Joselewicz [Link: https://dignitynews.eu/de/erde-aus-dem-grab-von-oberst-berek-joselewicz-auf-dem-pilsudski-huegel/] unterstützten sie während der nationalen Aufstände (erwähnenswert ist zum Beispiel die Haltung von Rabbiner Dow Ber Meisels [Link: https://dignitynews.eu/de/rabbiner-der-von-den-russen-wegen-unterstuetzung-des-januaraufstands-verfolgt-wurde/] oder der Aufständische Stanisław Hernisz) [Link: https://dignitynews.eu/de/stanislaw-hernisz-polnischer-jude-der-am-novemberaufstand-teilnahm/] und im Ersten Weltkrieg die polnischen Unabhängigkeitsaktivitäten. Sie schlossen sich der Armee mit Tausenden anderer Polen an.
Während des Ersten Weltkriegs
Bereits in der 1892 gegründeten Polnischen Sozialistischen Partei (poln. Polska Partia Socjalistyczna, PPS) und später in der PPS-Kampforganisation arbeiteten viele Juden mit dem späteren polnischen Staatsführer Józef Piłsudski zusammen. Einer von ihnen war der 20-jährige Boruch Szulman, der am 14. Mai 1906 bei einem Bombenanschlag auf den stellvertretenden Kommissar der zaristischen Polizei, Nikolai Konstantinow, der für seinen besonders grausamen Umgang mit Gefangenen bekannt war, getötet wurde.
Von großer Bedeutung war neben den konspirativen Aktivitäten auch der Kampf für die polnische Schule im russischen Teilungsgebiet, der sich für viele Juden als Vorbereitung auf die bewaffnete Teilnahme am Unabhängigkeitskampf erwies. Ein Beispiel für diesen Weg ist das Schicksal von Jan Ruff, der als 10-jähriger Schüler eines Gymnasiums in Częstochowa 1905 an einem Schulstreik teilnahm, der sich gegen die Russifizierung des Bildungswesens richtete und die Wiedereinführung des Unterrichts in polnischer Sprache forderte. Im Jahr 1915, während des Ersten Weltkriegs, wurde er bereits als Soldat der Ersten Brigade von Józef Piłsudski in einem Gefecht mit russischen Truppen bei Konary schwer verwundet. Die Juden, die während des Ersten Weltkriegs in der polnischen Militärformation, den polnischen Legionen, dienten, die als Teil der österreichisch-ungarischen Armee fungierte, waren die zahlreichste Gruppe unter den nationalen Minderheiten (etwa 650 Personen) — insgesamt zwischen 2 und 2,5 Prozent aller Soldaten, die in den Reihen der Legionen kämpften. Darüber hinaus sympathisierten zahlreiche Juden mit den Legionen und unterstützten sie finanziell. Die jüdischen Legionäre stammten vor allem aus traditionellen Kreisen, einige von ihnen hatten sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg assimiliert, wie Jan Arnsztajn [https://dignitynews.eu/de/familie-arnsztajn-im-kampf-fuer-unabhaengiges-polen/], der in einer patriotischen Familie aufwuchs, oder der bedeutende Maler und Zeichner Leopold Gottlieb, einer der wichtigsten Illustratoren des Legionsepos. Ihr begeisterter Beitritt zu den Legionen zeigte, dass sie Polen als ihre Heimat betrachteten, und bewies, dass ein polnischer Patriot zu sein nicht bedeuten musste, seine jüdische Identität aufzugeben.
Polnische Juden waren auch Soldaten in den Bayonne-Truppen an der Westfront, schlossen sich der Blauen Armee von General Józef Haller und zahlreichen zivilen und militärischen Strukturen an. Andere, die sich dem aktiven Kampf nicht anschließen konnten, waren in anderen Bereichen aktiv, z. B. Wilhelm Feldman [Link: https://dignitynews.eu/de/auf-dem-weg-zur-assimilation-wilhelm-feldman-1868-1919/] nahm als Leiter der Pressevertretung des Obersten Nationalkomitees in Berlin die Agitation für die polnische Sache auf.
Im Kampf um die Grenzen des polnischen Staates
Juden nahmen auch am Kampf um die Grenzen Polens teil — zunächst an der Verteidigung von Lemberg im November 1918. Im unabhängigen Polen wurden sie (teilweise posthum) mit dem Kreuz der Verteidigung von Lemberg ausgezeichnet.
Weiter Kämpfe wurden mit dem bolschewistischen Russland geführt. Im Jahr 1920 versuchte es, Polen zu erobern und wollte dann seine Offensive in Westeuropa fortsetzen, doch die Bolschewiki wurden von der polnischen Armee aufgehalten. Auch viele Juden dienten in der polnischen Armee und kämpften in der berühmten Schlacht von Warschau [Link: https://dignitynews.eu/de/schlacht-im-zentrum-europas-die-das-schicksal-der-welt-veraenderte-haben-sie-schon-von-ihr-gehoert/] und später im Dritten Schlesischen Aufstand gegen die Deutschen, dem Kampf um die am meisten industrialisierten Gebiete Oberschlesiens im Jahr 1921. Ihr Engagement wurde mit zahlreichen hohen Auszeichnungen gewürdigt. Der gemeinsame Kampf war ein wichtiger Schritt in Richtung Integration und Annäherung an den polnischen Staat.
In der Zweiten Polnischen Republik
Nach dem Ende der Kämpfe um die Grenzen Polens blieb nur ein Teil der Kombattanten im aktiven Militärdienst. Die meisten kehrten in zivile Berufe zurück oder setzten ihre Ausbildung fort. Nach ihrem Studium bildeten sie oft Kreise der Intelligenz. Viele von ihnen blieben Reserveoffiziere, aber einige entschieden sich, ihre Laufbahn in der polnischen Armee fortzusetzen.
Ende 1929 wurde der Verband der jüdischen Teilnehmer an den Kämpfen für die Unabhängigkeit Polens gegründet, eine Organisation der jüdischen Teilnehmer an den Kämpfen für die Unabhängigkeit, die ein Arbeitsprogramm für die Entwicklung der Republik und die polnisch-jüdische Zusammenarbeit verkündete. Der Verband war auch im Jugendbereich aktiv, organisierte Lager und Sommercamps und unterstützte jüdische Pfadfindergruppen. Im Jahr 1938 hatte die Organisation rund 6750 Mitglieder in 78 Zweigstellen. Für kurze Zeit gab sie eine eigene Zeitschrift, „Na Przełomie”, heraus. Im Jahr 1938 wurde einer der Aktivisten des Verbandes, Zdzisław Żmigryder-Konopka, Senator im polnischen Parlament.
Und wieder Krieg…
Auch 1939 kämpften viele Juden für die Verteidigung Polens. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie von den deutschen Besatzern ausgerottet und gleichzeitig von den Sowjets als Klassenfeinde (z. B. Kaufleute, Bourgeoisie, Klerus) in Gulags [https://dignitynews.eu/de/deportation-in-viehwaggons-die-letzte-vierte-deportation-von-polen-nach-sibirien-im-juni-1941/] deportiert. Unter deutscher Besatzung wurden sie und ihre Familienmitglieder in Vernichtungslagern, unter sowjetischer Besatzung in Katyń [Link: https://dignitynews.eu/pl/doktor-jerzy-lucjan-kempner-patriota-zydowska-ofiara-zbrodni-katynskiej] und in anderen Hinrichtungsorten als polnische Soldaten ermordet.
Heutzutage wird der Beitrag der Juden zum Kampf für ein unabhängiges Polen nicht nur durch wissenschaftliche und populäre Publikationen, sondern auch durch historische Ausstellungen, die von polnischen Institutionen organisiert werden, gewürdigt [Link: https://dignitynews.eu/de/ausstellung-schulter-an-schulter-die-juden-in-den-polnischen-unabhaengigkeitsbestrebungen-1794-1918/].