Während des Zweiten Weltkriegs raubten die Deutschen viele polnische Kunstwerke. Einige von ihnen wurden bis heute nicht gefunden. Ein ähnliches Schicksal schien die „Jüdin mit den Orangen“ – ein Gemälde von Aleksander Gierymski – zu ereilen. Dies änderte sich jedoch durch eine Auktion, die im November 2010 in Deutschland stattfand.
„Die Jüdin mit den Orangen“ wurde von Aleksander Gierymski in den Jahren 1880-1881 gemalt, als der Maler in Warschau lebte. In der Stadt, die damals unter russischer Herrschaft stand, lebten viele Juden. Dieses Gemälde gilt als Meisterwerk und als eines der wichtigsten polnischen Werke, das die jüdische Präsenz in Polen zeigt.
Kontrast und Ernsthaftigkeit
Im Vordergrund des Gemäldes sehen wir eine jüdische Kauffrau, die zwei Körbe mit Orangen hält. Sie trägt schlechte Kleidung. Sie hat eine Haube auf dem Kopf und einen Schal um den Hals. Das Gesicht der Frau ist sehr ernst, sogar besorgt und traurig. Dieser Eindruck wird durch hervortretende Wangen und Falten verstärkt. Die Figur der Jüdin und die Orangen haben lebhafte Farben. Die Orangen fallen besonders auf. Diese Farben kontrastieren sehr stark mit dem Hintergrund, auf dem Warschauer Gebäude aus dem 19. Jahrhundert in blassen Farbtönen gemalt sind, als wären sie mit Nebel bedeckt.
Ein Meisterwerk des Realismus
Diese Arbeit gehört zum Realismus. Das Ziel des damaligen Realismus in der Malerei war es, die Realität genau, auch fotografisch, wiederzugeben. Betrachtet man Gierymskis „Die Jüdin mit den Orangen“, kann man tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass es sich nicht um ein Bild, sondern um eine Fotografie handelt.
Der Autor selbst schrieb 1884 über sein Gemälde: „Die Jüdin war vielleicht das beste Gemälde (…). Teuflisch formbar und bunt. Vielleicht übertreibe ich, aber sollte ich jemals ernst zur Malerei zurückkehren, dann bleiben für mich nur große oder mittelgroße Figuren — nichts von der Landschaft”.
Geschenk für einen Freund
Nachdem er das Gemälde gemalt hatte, gab Gierymski es seinem Freund: Prosper Dziekański. Der ehemalige Adlige und Veteran des Januaraufstands starb 1922. Dann ging „Die Jüdin mit den Orangen“ an seinen Schwiegersohn Ludwik Zagrodzki. Irgendwann in seinem Leben brauchte er jedoch eine Finanzspritze und beschloss, das Gemälde zu versteigern. Das Meisterwerk wurde vom Polnischen Nationalmuseum in Warschau erworben. Es sollte viele Jahre lang von Kunstliebhabern genossen werden, aber der Zweite Weltkrieg kam.
Raub von Kunstwerken
Infolge der Aggression des Dritten Reiches und der Sowjetunion 1939 wurde Polen erobert. In Polen begann der Terror. Die Länder, die Polen besetzten, begannen auch, Kulturgüter zu stehlen. Viele polnische Werke wurden außer Landes gebracht. Einige von ihnen überstanden die Kriegswirren nicht. Andere landeten auf dem Schwarzmarkt und in den Händen von Schmugglern.
Scharen von deutschen Kunsthistorikern kamen ins Nationalmuseum in Warschau, um den Wert der Kunstwerke einschätzten, bevor sie verpackt und ins Dritte Reich transportiert wurden. Der „Jüdin mit Orangen“ gelang es, ein solches Schicksal zu vermeiden. Die Situation änderte sich wahrscheinlich 1944.
Das unbekannte Schicksal des Gemäldes
Am 1. August 1944 begannen die Polen den Warschauer Aufstand, der 63 Tage dauerte. Der Grund für den Unabhängigkeitsaufstand war die brutale Politik der Deutschen gegenüber den Polen und der Wunsch, die Stadt selbst, noch vor dem Einmarsch der kriminellen Roten Armee, zu befreien. Der Aufstand, obwohl heroisch, brach zusammen, und die deutschen Truppen zerstörten Warschau und hinterließen Ruinen.
Wahrscheinlich während des Aufstands raubten die Deutschen das Werk aus dem Nationalmuseum in Warschau. Es scheint möglich, weil in den Notizen des damaligen Direktors des Museums, Stanisław Lorentz, die wenige Tage vor dem Ende des Aufstands geschrieben wurden, keine Informationen über das Gemälde enthalten sind. Der zweite Hinweis ist das Datum des 6. Oktober 1944, als die Deutschen in aller Eile Kunstwerke aus dem besetzten Polen zum Schloss Fischhorn in Österreich transportiert haben. Dies sind jedoch nur Vermutungen und wir kennen das genaue Schicksal des Meisterwerks nicht. Das Gemälde ist spurlos verschwunden und es schien, als würde es nie wieder gefunden werden.
Unerwartetes Auffinden
Im November 2010 wurde ein Gemälde auf einer Auktion in der Kleinstadt Buxtehude bei Hamburg ausgestellt. Die Eigentümer des Auktionshauses baten das Schlesische Museum in Kattowitz um ein Gutachten, da die Sammlung dieser Institution ein sehr ähnliches Werk mit dem Titel „Die Jüdin mit Zitronen“ von Gierymski enthielt. Experten des Schlesischen Museums hatten keinen Zweifel: Bei dem in Deutschland versteigerten Gemälde handelt es sich um „Die Jüdin mit Orangen“, die von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg aus Polen gestohlen wurde. Die Informationen wurden dem polnischen Ministerium für Kultur und nationales Erbe übermittelt. Auch die polnische Staatsanwaltschaft war in den Fall involviert.
Rückkehr nach Polen
Die Frau, die das Gemälde für die Auktion übergab, erbte es von ihrer Großmutter. Sie erklärte, sie wusste nicht, dass das Werk von den Deutschen aus dem besetzten Polen gestohlen worden sei. 1948 heiratete ihre Großmutter einen Industriellen und Kunstsammler aus Düsseldorf. Vielleicht hatte er das Gemälde früher erworben, aber wir wissen nicht, wie.
Die Verhandlungen begannen, woraufhin „Die Jüdin mit den Orangen“ 2011 nach Polen zurückkehrte. Bevor das Gemälde die Augen der Kunstliebhaber zu erfreuen begann, musste es im Dezember 2012 Wartungsarbeiten unterzogen werden, die 440 Tage lang dauerten.
Das Werk befindet sich heute im Nationalmuseum in Warschau und ist neben anderen Gemälden von Gierymski in der „Galerie der Kunst des 19. Jahrhunderts“ ausgestellt.