Der Salon als Ort nicht nur für gesellige Zusammenkünfte, sondern auch für den Meinungsaustausch, für Debatten über Kultur und Wissenschaft spielte eine wichtige Rolle im Leben der Warschauer Intelligenz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert und ersetzte gewissermaßen polnische kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen, die im russischen Teilungsgebiet nicht existieren konnten. Einer der Orte, an denen sich polnische Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller trafen, war die Wohnung von Jadwiga geb. Bersohn und Aleksander Kraushar. Die Bedeutung dieser Treffen ergab sich aus der Wertschätzung, die der Hausherr in Warschau genoss.
Aleksander Kraushar (bekannt als Alkar, 1843-1931) stammte aus einer assimilierten jüdischen Familie. Er war Jurist von Beruf und Historiker aus Leidenschaft. Während des Januaraufstands redigierte er im Auftrag der Regierung die aufständische Presse. Nach der Niederschlagung des Aufstands eröffnete er eine Anwaltskanzlei und gewann schnell wohlhabende Mandanten. Eine stabile finanzielle Situation ermöglichte es ihm, sich der Literatur und der Geschichte zu widmen. Er war einer der Gründer der 1906 ins Leben gerufenen Gesellschaft der Freunde der Geschichte.
Das Haus des Ehepaars Kraushar wurde unter anderem von dem bekannten Theater- und Literaturkritiker Władysław Bogusławski, dem wichtigsten Vertreter der sogenannten Warschauer historischen Schule, Tadeusz Korzon, sowie dem Begründer der sogenannten Lemberger historischen Schule, Szymon Askenazy, und dem Dichter Kazimierz Przerwa-Tetmajer besucht. Der letztere war zur Überraschung der Tochter der Kraushars, Zuzanna (sie hatten auch einen Sohn, Tadeusz), während der wichtigen Diskussionen gelangweilt, hörte aber mit Interesse dem Klatsch über die Höhe der Mitgift der Heiratskandidatinnen zu.
Die Gäste der Kraushars erinnerten sich einstimmig daran, dass dieser einer der wichtigsten Salons in Warschau von einer ernsten Atmosphäre geprägt war. Die Treffen fanden dienstags statt, und die Hausherrin sorgte immer für ein reichhaltiges Abendessen. Sie diskutierten über Politik, Geschichte und die neuesten Presseartikel, die im russischen Teilungsgebiet und in anderen Teilungsgebieten veröffentlicht wurden. Zur Unterhaltung tauschten sie ihre Erinnerungen an Auslandsreisen aus und empfahlen sich gegenseitig Hotels, Restaurants und Cafés.
Jadwiga und Aleksander Kraushar, die aus jüdischen Familien stammten, konvertierten 1903 zum Katholizismus. A. Kraushar ist auf dem Powązki-Friedhof in Warschau begraben.