Die Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens im Jahr 1918 nach 123 Jahren der Fremdherrschaft wäre ohne die gemeinsamen Anstrengungen vieler Generationen von Polen nicht möglich gewesen. Unter ihnen gab es Menschen, die sich in der Geschichte des Kampfes für ein freies Polen besonders hervorgetan haben, nicht nur auf den Schlachtfeldern, sondern auch während der diplomatischen Verhandlungen, die hinter geschlossenen Türen geführt wurden. Einer von ihnen war Roman Dmowski.
Er wurde am 9. August 1864 in Kamionek in der Nähe von Warschau geboren. Sein Vater Walenty arbeitete zunächst als Pflasterer und wurde später Eigentümer einer Pflasterfirma. Außerdem pachtete er zwei Seen und verdiente den Lebensunterhalt für seine Familie mit dem Verkauf von Fisch. Seine Mutter Józefa, geborene Lenarska, kümmerte sich um die Erziehung von sieben Kindern, von denen zwei im frühen Kindesalter starben. Der junge Roman begann seine Ausbildung am Philologischen Gymnasium Nr. 3 in Warschau in einer Zeit der starken Russisierung der polnischen Kinder und Jugendlichen durch die russischen Behörden.
Zunächst strengte sich Dmowski in der Schule nicht an, was dazu führte, dass er seine Ausbildung in den nächsten drei Klassenstufen von der zweiten bis zur vierten wiederholte. Der Durchbruch kam, als er eine geheime Schülerorganisation namens „Strażnica” gründete, in deren Rahmen Unterricht in Geschichte, Geografie, polnischer Sprache und Literatur durchführt wurde. In seinen letzten Schuljahren gab er aufgrund des Todes seines Vaters Nachhilfestunden, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Nach dem Abschluss des Gymnasiums im Jahr 1886 schrieb er sich an der Fakultät für Mathematik und Physik der Kaiserlichen Universität Warschau ein. Hier beteiligte er sich an den Aktivitäten des Polnischen Jugendverbands „Zet” (Związek Młodzieży Polskiej „Zet”) und wurde Mitglied der geheimen Polnischen Liga (Liga Polska), einer Organisation, die in den Jahren 1887-1893 im Exil und auf polnischem Boden, damals unter den Teilungen von Russland, Österreich und Preußen, tätig war. In dieser Zeit lernte er einen der Begründer der Theorie der nationalen Bewegung, Jan Ludwik Popławski, kennen. Diese Figur machte großen Eindruck auf den jungen Dmowski und wurde für ihn zu einer Autorität.
Beeinflusst von diesem neuen und anregenden Kontakt begann Dmowski, journalistische Texte in der Zeitschrift „Głos” zu veröffentlichen. Im Jahr 1890 schloss er sein Studium mit einer Diplomarbeit zum Thema „Ein Beitrag zur Morphologie der Wimpertierchen” ab. Im folgenden Jahr beteiligte er sich an den inoffiziellen Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Verfassung vom 3. Mai. Im Herbst 1891 ging er zum weiteren Studium nach Paris, was ihm durch eine finanzielle Unterstützung ermöglicht wurde.
Bei seiner Rückkehr aus Frankreich nach Warschau im August 1891 wurde er von den russischen Behörden verhaftet, weil er eine patriotische Kundgebung zum 100-jährigen Jubiläum der Verfassung vom 3. Mai organisiert hatte. Er wurde in der Warschauer Zitadelle inhaftiert, aus der er erst im Januar 1893 gegen Kaution entlassen wurde. Nach seiner Freilassung leitete er trotz der Aktionen der russischen Geheimpolizei „Ochrana” gemeinsam mit Popławski die Umwandlung der Polnischen Liga in die Nationalliga (Liga Narodowa) und wurde dessen Vorsitzender.
Im Herbst 1893 wurde er zu einem fünfjährigen Aufenthaltsverbot in den polnischen Gebieten, die während der Teilungen von Russland besetzt worden waren, verurteilt. 3 Jahre lang stand er in Mitau bei Riga unter strenger polizeilicher Aufsicht. Dann, Anfang 1895, überquerte er illegal die Grenze nach Österreich-Ungarn und ließ sich in Lemberg nieder. Hier begann er, Texte in der Zeitschrift „Przegląd Wszechpolski” (dt. Allpolnische Rundschau) zu veröffentlichen. Bald wurde er Chefredakteur dieser Zeitschrift. Im Jahr 1896 nahm er am Kongress der Nationalliga in Budapest teil und wurde einer der Hauptverantwortlichen der Organisation. Nach Ablauf des Aufenthaltsverbots in den polnischen Gebieten zog Dmowski nach Krakau, von wo aus er 1904 nach Japan reiste, das sich damals im Krieg mit Russland befand. Dort versuchte er, die Pläne von Mitgliedern der Polnischen Sozialistischen Partei unter Führung von Józef Piłsudski, mit japanischer Zustimmung einen antirussischen Aufstand auf polnischem Boden zu starten, zu torpedieren. Bei Treffen mit japanischen Politikern argumentierte Roman Dmowski, dass der polnische Aufstand Japan keinen wirklichen Nutzen bringen würde und von der russischen Armee brutal niedergeschlagen würde.
Im Jahr 1905 kehrte er nach Warschau zurück. Leider fiel seine Ankunft mit der Schließung der Zeitschrift „Przegląd Wszechpolski” zusammen. Dies hinderte ihn jedoch nicht daran, eine politische Karriere zu machen — von 1907 bis 1909 war er Mitglied der Duma, des russischen Parlaments, wo er als Vorsitzender des Polnischen Kreises fungierte. In dieser Zeit veröffentlichte er das Buch „Deutschland, Russland und die polnische Frage”, in dem er aufzeigte, dass die größte Bedrohung für die polnische Nation die Handlungen Deutschlands darstellen.
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1915 verließ er Warschau und reiste zunächst in die russische Hauptstadt Petrograd und anschließend in das Vereinigte Königreich, nach Frankreich und in die Schweiz. Er nutzte seinen Aufenthalt in diesen Ländern, um sich mit lokalen Politikern zu treffen, die er von der Notwendigkeit des Wiederaufbaus der polnischen Staatlichkeit nach dem Ende der Feindseligkeiten überzeugte. Im August 1917 wurde in der Schweiz das Polnische Nationalkomitee (Komitet Narodowy Polski) unter dem Vorsitz von Roman Dmowski gegründet. Das Komitee wurde bald international als Vertreter Polens offiziell anerkannt. Frankreich war das erste Land, das dies tat, kurz darauf folgten Großbritannien und die Vereinigten Staaten. Dmowski engagierte sich in Frankreich stark für den Aufbau einer polnischen Armee, zu der viele Polen aus Europa und Amerika zogen. Diese Armee, die von General Józef Haller befehligt wurde, spielte eine Schlüsselrolle im Kampf um die Unabhängigkeit, nachdem sie 1919 ins Land gebracht worden war.
Bei den Friedensverhandlungen von Versailles vertrat Dmowski Polen zusammen mit dem bedeutenden Musiker Ignacy Jan Paderewski. Zwischen 1919 und 1922 war er Abgeordneter des gesetzgebenden Sejm. In der 1923 von Wincenty Witos gebildeten Regierung wurde er Außenminister. Nach dem Maiputsch von Józef Piłsudski im Jahr 1926 gründete Dmowski eine neue politische Formation, das Lager des Großen Polens (Obóz Wielkiej Polski, OWP), in dem viele rechte Parteien vertreten waren, die eine Opposition zur Sanacja-Regierung bildeten. Die Hauptaufgabe von OWP bestand darin, die nationale Solidarität zu stärken. Dmowski schlug eine enge Beziehung zwischen dem Staat und der katholischen Kirche vor und betonte die Notwendigkeit, soziale und moralische Disziplin zu bilden. OWP wurde 1933 von den Behörden aufgelöst.
Im Rahmen der Konsolidierung der nationalen Bewegung wandelte der Politiker 1928 gleichzeitig den Volks- und Nationalverband (Związek Ludowo-Narodowy) in die Nationalpartei (Stronnictwo Narodowe) um. In dieser Partei verlor seine Rolle jedoch im Laufe der Jahre immer mehr an Bedeutung.
Roman Dmowski starb am 2. Januar 1939 in Drozdowo bei Łomża. Er wurde auf dem Bródno-Friedhof in Warschau beigesetzt. An der Beerdigungszeremonie nahmen mehr als 100 Tausend Menschen teil.