Der Gouverneur Stepan Stepanowitsch Gromieka, ein orthodoxer Fanatiker, dessen Tochter Hegumene des orthodoxen Klosters wurde, nahm den Katholiken 1875 die barocke St.-Anna-Stiftskirche in Kodeń weg und schenkte sie den orthodoxen Geistlichen. Im 19. Jahrhundert wurde dieser Teil Polens von Russland beherrscht. Als Polen 1918 auf die europäische Landkarte zurückkehrte, haben sich die Katholiken an ihnen gerächt — alle orthodoxen Kirchen der Stadt wurden geschlossen. Die Spannungen zwischen den religiösen Gruppen waren damals durch den Kampf zwischen Orthodoxen und Katholiken geprägt, wobei die jüdische Bevölkerung gemieden wurde.
Selbstverwaltung im Schtetl
Während dieser ganzen Zeit besuchten die Altgläubigen eine hölzerne Synagoge, die nach dem Bau einer Backstein-Synagoge in eine Jeschiwa umgewandelt wurde. Sie hatten ihre eigene Selbstverwaltung. Der jüdischen Gemeinde gehörten alle Männer über 25 Jahre an, sofern sie seit mindestens einem Jahr in Kodeń lebten. Die Gemeinde unterstützte einen Rabbiner und einen Unterrabbiner mitsamt ihren Familien. Schohet, ein Schlachter, der einen koscheren Schlachthof betrieb, verdiente seinen Lebensunterhalt selbst. Rabe Moshe Arje Fryduam leitete die Gemeinde von der Zeit des Zaren Nikolaus II. bis zu seinem Tod im Jahr 1926. Alle Hebräer wandten sich an ihn um Rat. Er schlichtete Streitigkeiten und seine Urteile waren endgültig.
Die Juden gründeten eine Volksbank, die jedoch den wirtschaftlichen Zusammenbruch während der Weltwirtschaftskrise nicht überlebte. Jeder dritte Einwohner von Kodeń war jüdischen Glaubens — insgesamt 600 Personen. Sie stimmten für die Zionisten und die religiöse Agudat, und auch der Bund war aktiv. Sie waren in Handel und Handwerk tätig (Schneider und Schuhmacher). Von 26 Geschäften in Kodeń waren 21 von Juden betrieben.„Christliche (sprich polnische) Geschäfte sind sehr klein und arm. Man bekommt selten das, was man will und wie viel man will. Sie verkaufen nur kleine Mengen. Wer also mehr kaufen oder sicher sein will, dass er alles auf einmal bekommt, geht in ein jüdisches Geschäft. Sie haben alles und immer“, berichtete ein Pilger.
Jüdische Bäcker
Im Jahr 1927 kehrte das katholische Gnadenbild der Muttergottes von Kodeń in die Stadt zurück. Das aus dem 17. Jahrhundert stammende Gemälde eines unbekannten spanischen Malers wurde von Fürst Mikolaj Sapieha aus den Pyrenäen mitgebracht. Die bekannte Schriftstellerin Zofia Kossak-Szczucka beschrieb in ihrem 1924 erschienenen Roman „Gesegnet sei der Wein” anschaulich den Besitzer der hiesigen Güter. Die triumphale Rückkehr des Gemäldes, die von Erzbischof Adam Sapieha begrüßt wurde, ließ die frühere Herrlichkeit des Sanktuariums in Kodeń wiederherstellen. Die Stadt wurde von einer großen Zahl von Pilgern besucht.
Die Oblatenmissionare, die Wächter der Basilika, beschlossen, dass die konsekrierten Hostien aus den Händen ihrer Glaubensbrüder stammen sollten. Bislang hatten sie die Oblaten in einer der drei städtischen Bäckereien gekauft, die von den Juden betrieben wurden. Mit der Unterstützung von Frau Płandowska, die während ihrer Arbeit in Amerika einige Dollar gespart hatte, wurde die Bäckerei von Stanisław Radecki im Frühjahr 1938 eröffnet. Trotz regelmäßiger Aufträge des Klosters und der Landwirtschaftsschule in Kołpin sowie der Unterstützung seitens des Landrates war er sich nicht sicher, ob er überleben würde. Er beschloss, einen fünfjährigen Probevertrag abzuschließen. Die Einwohner gingen auf die alte Art dorthin, wohin sie der Duft der gebackenen Challot, Bagel, Matzen und bis vor kurzem auch der Oblaten anlockte. An Festtagen wurde im Restaurant von Bronisław Sadzak oder in der Taverne von Zelman Blumenkranz gegessen, die harmonische den gastronomischen Markt teilten. Die polnischen Handwerker hingegen verkauften ihre Produkte in den Geschäften ihrer jüdischen Nachbarn. Sie waren immer zahlungsfähig mit Kahal-Krediten. Die Bewohner von Kodeń konzentrierten sich auf Tätigkeiten, für die sie eine Vorliebe hatten.
Der Zweite Weltkrieg unterbrach die friedliche Koexistenz von Polen und Juden. Im September 1939 rückte die Wehrmacht in die Stadt ein. Die voll Macht gehörte den Deutschen. Sie befahlen den Juden, in 30 bestimmten Häusern rund um den Marktplatz zu wohnen. Sie zwangen sie, 10-12 Stunden am Tag als Sklaven zu arbeiten. Sie trieben die Juden dazu, den jüdischen Friedhof zu zerstören, um die Straße mit Matzevot zu pflastern. Eine weitere Demütigung war der Abriss der Synagoge und der Jeschiwa. Im Herbst 1942 trieben die Deutschen alle Juden von Kodeń in ein größeres Ghetto, von wo aus sie noch vor Jahresende in die Gaskammern des Vernichtungslagers Treblinka deportiert wurden.