Das Schicksal der jüdischen Frauen, die auf der arischen Seite blieben und gleichzeitig im jüdischen Untergrund agierten, ist kein oft diskutiertes Thema. Von vielen von ihnen hören wir nichts, weil es keine Zeugen gibt, die von ihrer Aufopferung berichten könnten. Die Erinnerung an Lea Koziebrodzka hat jedoch überlebt. Während der Besatzungszeit war sie als Kurierin im besetzten Polen unterwegs und ermöglichte den Kontakt zwischen den Ghettos.
Koziebrodzka wurde in Pruszków geboren. Sie absolvierte das Yehudiya-Gymnasium in Warschau und begann anschließend ein Studium der Romanistik an der Universität Warschau. Während ihres Studiums gehörte sie der Jugendorganisation der Gesellschaft der Arbeiteruniversität und der Organisation „Frajhajt” an.
Während des Krieges war sie Mitglied von Dror und Hechaluz. Aufgrund ihres guten Aussehens und ihrer perfekten Kenntnisse der polnischen Sprache wurde sie unter dem Decknamen Krystyna Kosowska als Meldegängerin vom Warschauer Ghetto nach Białystok, Grodno, Vilnius und Lublin geschickt. Sie transportierte nicht nur Dokumente, sondern auch Waffen an diese Orte und setzte damit ihr Leben aufs Spiel. Sie begleitete auch Mitglieder verschiedener jüdischer Organisationen von Stadt zu Stadt. Sie wurde Lonka genannt.
Ihre Verdienste um den Widerstand der Juden unter der deutschen Besatzung sind unbestreitbar. Sie beteiligte sich unter anderem an der Bildung der Selbstverteidigung des Ghettos Vilnius. Nach dem Krieg betonte Jitzhak Zuckerman — eine Legende der Jüdischen Kampforganisation, der dank dem Aussehen eines polnischen Adligen während des Krieges frei auf der arischen Seite lebte — ihr Engagement. Während ihres Kurierdienstes zeigte sie auch ihre Talente und improvisierte. Sie beherrschte neben Deutsch auch Englisch, Französisch, Ukrainisch und Weißrussisch perfekt.
Leider wurde sie im Juni 1942 beim Überschreiten der Grenze des Generalgouvernements von den Deutschen verhaftet. Dies geschah in Małkinia Górna, wo sich die Grenze zwischen dem Generalgouvernement und dem Bezirk Bialystok befand. In ihrer Tasche hatte sie vier Handgranaten und eine Untergrundpresse. Sie wurde zusammen mit einer anderen Kurierin, Bronisława Limanowska oder Bella Chazan, verhaftet, die die gleichen Aufgaben wie Koziebrodzka im Ghetto Vilnius erfüllte.
Da die Deutschen Lonka nicht als Jüdin anerkannten, wurde sie in das Warschauer Pawiak-Gefängnis gebracht. Dort wurde sie verhört und am 12. November 1942 nach Auschwitz-Birkenau geschickt, wo sie die Lagernummer 24453 erhielt. Dort starb sie am 18. März 1943 an Typhus. Ihre ebenfalls an der Grenze verhaftete Kurierkollegin Bella Chazan überlebte den Krieg.
Eine ihrer Mitgefangenen erinnerte sich an die letzten Tage von Koziebrodzka: „Von meiner Pritsche aus konnte ich sehen, wie sie langsam verblasste. Man hat sich überhaupt nicht um sie gekümmert. Sie war geschwollen und konnte nichts essen. Sie bat darum, mir ihre Suppe zu geben…”.