Vor genau 156 Jahren, am 5. Dezember 1867, wurde Józef Piłsudski auf dem Landgut Zułowo in Litauen geboren. Ein Verbannter, Sozialist, Marschall und vor allem Mitbegründer des unabhängigen polnischen Staates. Ein Mann, der die polnische Nation in der Zwischenkriegszeit vereinte und prägte.
Von frühester Kindheit an wurde Piłsudski im Ethos des Januaraufstandes von 1863 erzogen, während dessen sein Vater Józef Wincenty als Kommissar der Nationalregierung für den Landkreis Rosień tätig war. Neben seiner patriotischen Erziehung erhielt er auch eine gründliche Ausbildung. Seine Mutter Maria, eine Adelige aus der Familie Bilewicz, sorgte dafür, dass ihre Kinder zu Hause unterrichtet wurden, und holte Privatlehrer hinzu.
Im Jahr 1877 begann Piłsudski seine Ausbildung am Ersten Gymnasium in Vilnius (dt. Wilna). Als Gegner des Russifizierungsprozesses war er Mitbegründer des Selbstlernkreises „Spójnia” und versuchte, polnische Bücher aus Warschau zu holen. Nach bestandener Reifeprüfung wurde er zum Medizinstudium an der Kaiserlichen Universität Charkiw zugelassen.
Aufgrund seiner Kontakte zur russischen revolutionären Organisation „Narodnaja Wolja” („Wille des Volkes”) wurde er bereits im März 1887 von der zaristischen Polizei verhaftet und zu fünf Jahren Verbannung in Sibirien verurteilt, weil er an der Vorbereitung eines Attentats auf Zar Alexander III. beteiligt gewesen sein sollte. Im Juli 1892 kehrte Piłsudski nach Vilnius zurück und schloss sich der sozialistischen Bewegung an, zunächst als Korrespondent der konspirativen Zeitschrift „Przedświt”, dann als Mitbegründer der Polnischen Sozialistischen Partei (Polska Partia Socjalistyczna) und Leiter einer geheimen Druckerei des Parteiblattes „Robotnik” in Łódź.
Im Februar 1900 wurde er erneut wegen konspirativer Tätigkeit verhaftet und im X. Pavillon der Warschauer Zitadelle inhaftiert. Da er dort begann, eine Geisteskrankheit vorzutäuschen, wurde er in das Krankenhaus für Geisteskranke in St. Petersburg gebracht, aus dem er mit Hilfe von Parteigenossen entkam.
Während der Revolution von 1905, die auf dem Gebiet des Russischen Reiches ausbrach, war er Mitbegründer der PPS-Kampforganisation. Mehrere Jahre lang leisteten ihre Mitglieder bewaffneten Widerstand gegen die Armee und die zaristischen Gouverneure und führten zahlreiche Liquidierungs-, Sabotage- und Ablenkungsaktionen durch. Piłsudski beteiligte sich persönlich an einem Anschlag auf einen russischen Postzug in der Nähe von Bezdany , bei dem die Mittel für die Gründung der Untergrundorganisation Verband des aktiven Kampfes (Związek Walki Czynnej) beschaffen wurden, was den weiteren Kampf um die Unabhängigkeit ermöglichte.
Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs war er Mitbegründer der Polnischen Legionen, die an der Seite Österreich-Ungarns kämpften. Infolge der so genannten Eidkrise, in der er den polnischen Soldaten persönlich empfahl, den Deutschen nicht die Treue zu schwören, wurde er verhaftet und in der Festung Magdeburg inhaftiert.
Infolge des Ausbruchs der bolschewistischen Revolution in Russland und der Siege der Entente-Staaten kehrte Piłsudski bereits am 10. November 1918 in das unabhängige Polen zurück und übernahm die Macht im Lande sowohl von den Vertretern des Regentschaftsrates als auch von Ignacy Daszyński — dem Ministerpräsidenten der Provisorischen Volksregierung der Republik Polen in Lublin.
In den Jahren 1918-1922 war er Staatsoberhaupt und ab dem 19. März 1920 Marschall der Zweiten Polnischen Republik. Zuerst wurde ihm die Befehlsgewalt über die polnische Armee übertragen und er wurde mit der Organisation einer landesweiten Regierung betraut. Zum Ministerpräsidenten ernannte er den Sozialisten Jędrzej Moraczewski, dessen Kabinett eine Reihe innovativer Gesetze mit demokratischem Charakter verabschiedete, darunter das allgemeine Wahlrecht (auch für Frauen), den Achtstundentag, die Garantie der Rechtmäßigkeit der Gewerkschaften sowie die Einführung einer Arbeitsaufsicht und einer Krankenversicherung.
Trotz der vielen Schwierigkeiten, die mit der Konsolidierung eines durch die Teilungen zerstörten und geteilten Landes verbunden waren, widerstand Polen unter Piłsudski dem bolschewistischen Ansturm von 1920. Durch den Sieg im Krieg wurden paradoxerweise die falschen Annahmen von Piłsudskis Konzept eines föderalen Staates, der auf ehemaligen, ethnisch vielfältigen Ländereien Polens beruhen sollte, zugunsten der Vision eines Nationalstaates aufgedeckt. Letztere wurde von seinem größten Widersacher, Roman Dmowski, vertreten.
1922 zog sich Piłsudski aus der politischen Tätigkeit zurück und widmete sich dem Militär. Im Juli 1923 trat er von seinem Amt als Vorsitzender des Engen Kriegsrates (Ścisła Rada Wojenna) zurück und widmete sich der Schriftstellerei, wobei er sich meist in seinem Landhaus in Sulejówek bei Warschau aufhielt.
Aufgrund der sich verschlechternden politischen und sozialen Lage im Land und der Instabilität der aufeinander folgenden Regierungen führte er am 12. Mai 1926 einen Staatsstreich (den so genannten Maiputsch) an, der den Rücktritt der Regierung von Wincenty Witos erzwang. Von da an wurde die Macht im Lande von Personen ausgeübt, die mit Piłsudski verbunden waren, und es entstand ein autoritäres System, das sich auf das Militär stützte.
Piłsudski selbst war zweimal Premierminister. Das erste Mal zwischen 1926 und 1928 und das zweite Mal nach 1930, als Präsident Ignacy Mościcki auf sein Ersuchen hin den Sejm auflöste und den so genannten Brester Prozess zuließ, bei dem Politiker verurteilt wurden, die die Maßnahmen des Marschalls nicht unterstützten.
Zu diesem Zeitpunkt war Piłsudski bereits schwer krank. Fünf Jahre später, am 11. Mai 1935, erlitt er eine Magenblutung. Er starb am folgenden Tag im Warschauer Belvedere, genau am 9. Jahrestag des Maiputsches. Sein Begräbnis war eine große patriotische Manifestation. Er wurde mit den höchsten Ehren in der Krypta unter dem Turm der silbernen Glocken auf dem Wawel-Hügel in Krakau beigesetzt, während sein Herz bei seiner Mutter auf dem Rasos-Friedhof in Vilnius bestattet wurde.
Trotz der vielen Kontroversen, die Piłsudskis politisches Wirken auslöste, war er der unbestrittene Führer des unabhängigen Polens, dem es gelang, die polnische Nation nach 123 Jahren der Teilung zu konsolidieren.