Der jüdische Historiker und Sozialaktivist Emanuel Ringelblum setzte seine Arbeit, die er vor dem Ausbruch des Krieges begonnen hatte, auch während des Zweiten Weltkriegs fort. Er half den Bedürftigen und dokumentierte akribisch die deutschen Gräueltaten an den Juden.
Emanuel Ringelblum wurde am 21. November 1900 in der Stadt Buczacz geboren. Die polnischen Gebiete, in denen er aufwuchs, waren damals Teil des Russischen Reiches. 14 Jahre nach seiner Geburt brach der Erste Weltkrieg aus. Emanuels Familie fürchtete russische Truppen, die Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung veranstalteten, und beschloss daher, nach Nowy Sącz zu ziehen.
Jüdischer Historiker und Aktivist
Ringelblum verließ Nowy Sącz 1922 und ging nach Warschau, um an der Universität Warschau Geschichte zu studieren. Er besuchte Kurse bei bedeutenden polnischen Historikern, darunter Marceli Handelsman und Jan Kochanowski-Korwin. Sein Lehrmeister war jedoch Ignacy Schiper — einer der führenden jüdischen Intellektuellen im Polen der Zwischenkriegszeit.
5 Jahre nach Beginn seines Studiums verteidigte Emanuel seine Dissertation über das Schicksal der Warschauer Juden im Mittelalter. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Warschau wurde zu Ringelblums Spezialgebiet. Er wollte ein weiteres Werk zu diesem Thema veröffentlichen, das die Jahre 1527-1795 abdecken sollte, aber der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unterbrach seine Forschungen.
Ringelblum vertrat die Auffassung, dass die jüdische Geschichte nicht losgelöst vom Schicksal Europas und der Welt studiert werden sollte. Seiner Ansicht nach war die Geschichte der Juden in Polen mit der Geschichte Polens verknüpft, und die beiden Themen könnten nicht getrennt voneinander behandelt werden. Er war sich der Konflikte zwischen der jüdischen und der polnischen Gemeinschaft bewusst, aber seiner Meinung nach war es ein Fehler, die polnisch-jüdischen Beziehungen nur im Zusammenhang mit dem Antisemitismus zu sehen. Seiner Ansicht nach waren die Spannungen und Konflikte zwischen den beiden Völkern auf Missverständnisse und mangelndes Wissen der beiden Gruppen übereinander zurückzuführen. Er forderte die Verbreitung der jüdischen Geschichte, um das gegenseitige Verständnis und die Konfliktlösung zu fördern. Der Historiker liebte die jiddische Sprache, die jüdische Kultur und Folklore. In seiner wissenschaftlichen Arbeit griff er auch auf jüdische Volksmärchen zurück.
Der spätere Schöpfer des „Ghetto-Archivs” war stark in das gesellschaftliche und wissenschaftliche Leben der Juden eingebunden. Unter anderem war er einer der Gründer der historischen Abteilung des Jüdischen Wissenschaftlichen Instituts in Vilnius (die Stadt lag damals in Polen). Er war auch mit der Zentrale der zinslosen Darlehenskassen („Cekabe”) verbunden, die vom American Jewish Joint Distribution Committee (Joint) finanziert wurde. Er arbeitete hauptsächlich als Lehrer, gab diesen Beruf jedoch 1938 auf, um sich ganz sozialen Aktivitäten zu widmen. Er wurde ein Vollzeitangestellter von Joint. In den späten 1930er Jahren war er an der Unterstützung von 6 000 von den Nazis verfolgten Juden in Deutschland beteiligt. Der Krieg und die deutsche antijüdische Politik kamen unweigerlich auf ihn zu.
Dokumentation des Schicksals der Juden im Warschauer Ghetto
Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, im August 1939, schlossen Adolf Hitler und Joseph Stalin einen gemeinsamen Pakt. Als diese Information Ringelblum erreichte, verließ er den Zionistenkongress in Genf und kehrte nach Warschau zurück. Nach dem deutschen Überfall auf Polen engagierte er sich sofort für die Notleidenden. Leider endete der gemeinsame Angriff von Nazi-Deutschland und der Sowjetunion mit der Besetzung des polnischen Staates. Warschau, wo er lebte, wurde von den Deutschen eingenommen. Die Nazis begannen mit der Verfolgung von Polen und Juden im besetzten Polen. Für letztere organisierten sie Ghettos, in denen sie die jüdische Bevölkerung zwangsweise unterbrachten. In den Ghettos herrschten Überfüllung, Krankheit, Hunger und Tod. Im November 1940 wurde auch Ringelblum zur Umsiedlung in das Warschauer Ghetto gezwungen.
Auch im Ghetto engagierte sich Emanuel in Organisationen, die den Bedürftigen halfen (z. B. Zentrales Hilfskomitee, Jüdische Soziale Selbsthilfe). Er war auch an der Jüdischen Kampforganisation (poln. Żydowska Organizacja Bojowa) beteiligt, die im April 1943 den antideutschen Aufstand im Warschauer Ghetto auslöste.
Seine wichtigsten Aktivitäten fanden jedoch im Rahmen einer Organisation statt, die auf seine Initiative hin gegründet wurde — Oneg Schabbat („Die Freude am Sabbat”), aus der das heutige Ringelblum-Archiv hervorgegangen ist. Es gelang ihm, Vertreter der jüdischen Intelligenz, Schriftsteller, Lehrer und Aktivisten zu überreden, ihm bei der Dokumentation der Geschehnisse im Warschauer Ghetto und darüber hinaus zu helfen. Die Mitarbeiter sammelten eine Vielzahl von Materialien: von Schriften, Flugblättern und Plakaten bis hin zu Speisekarten, Straßenbahnfahrkarten oder Bonbonpapier. Sie untersuchten die sozialen Beziehungen im Ghetto und die dort tätigen Organisationen. Sie beschäftigten sich mit den Phänomenen der Korruption, dem herrschenden Hunger, den allgegenwärtigen Krankheiten. Sie konzentrierten sich auch auf die Demografie, das religiöse, wirtschaftliche und kulturelle Leben. Sie erforschten die jüdische Widerstandsbewegung und die Beziehungen der Juden zu Deutschen und Polen. Sie dokumentierten vor allem den Holocaust — die Ausrottung der jüdischen Bevölkerung durch Nazi-Deutschland. Sie schufen ein einzigartiges Archiv des Warschauer Ghettos, das den Zeitraum von Oktober 1939 bis April 1943 umfasst.
Flucht und Verhaftung
Ringelblum floh im Februar 1943 aus dem Ghetto auf die arische Seite, kehrte aber immer wieder dorthin zurück, um andere zu retten und Bedürftigen zu helfen. Er kam auch am Tag vor dem Ausbruch des Aufstands im Warschauer Ghetto dort an. Man hörte jedoch nichts mehr von ihm und es stellte sich heraus, dass er von den Deutschen verhaftet und in das deutsche Zwangsarbeitslager Trawniki deportiert wurde. Der polnische und jüdische Untergrund ergriff jedoch wirksame Maßnahmen, um ihn herauszuholen.
Nach seiner Befreiung wurde Ringelblum wieder mit seiner Familie zusammengeführt. Sie alle fanden Unterschlupf im Bunker „Krysia” in der Grójecka-Straße in Warschau. Dort setzte Emanuel seine Arbeit als Historiker fort und beschrieb die Tragödie der Juden. Leider entdeckte die deutsche Geheimpolizei, die Gestapo, das Versteck am 7. März 1944. Sie wurde wahrscheinlich von einem 18-jährigen Polen verraten, der dafür vom polnischen Unabhängigkeitsuntergrund erschossen wurde. Die im Bunker untergebrachten Juden wurden in das Gefängnis „Pawiak” gebracht. Sie wurden wahrscheinlich drei Tage später erschossen. Emanuel Ringelblum starb zusammen mit seiner Familie.