Fast dreihundert Jahre lang schützten Kamieniec Podolski (Kamjanez-Podilskyj) und die dort errichtete Festung das südöstliche Grenzgebiet von Polen-Litauen. Die Festung erlangte nicht nur Ruhm als wichtigste polnische Festung, sondern auch als eine der mächtigsten in Europa. Kamieniec, das früher an die muslimische Welt grenzte, wurde als „Bollwerk des Christentums” und als „Tor zu Polen” bezeichnet.
Seine strategische Bedeutung verdankte Kamieniec seiner geografischen Lage. Die Festung wurde im 14. Jahrhundert auf einer felsigen Insel in einer vier Kilometer langen Schleife des Flusses Smotrytsch, der die Stadt mit einem Labirynth von Schluchten umgibt, erbaut und stetig ausgebaut. Die wenigen Verteidiger der Festung konnten die mächtigen Invasionsarmeen aufhalten. Die Natur und die Bemühungen vieler Baumeister schufen eine außergewöhnliche Landschaft, in der die Verteidigungsanlagen, das Rathaus und religiöse Bauwerke: eine katholische Kirche, ein muslimisches Minarett, eine orthodoxe Kirche und der Turm der armenischen Kathedrale nebeneinander standen.
Die Festungsanlagen von Kamieniec waren so wirkungsvoll, dass sie weder von den Kosaken noch lange Zeit von den Türken eingenommen werden konnten. Polnische Könige, Bischöfe und Päpste trugen zur Modernisierung der Festung bei, die das christliche Europa verteidigte. Die Worte des türkischen Sultans während der Expedition von 1621, als er über die Festung sagte: „Möge Allah sie selbst erobern”, sind zur Legende geworden.
Der Glaube an die Stärke der Festung und die inneren Unruhen im Land führten dazu, dass sich Kamieniec im Jahr 1672 als nicht mehr verteidigungsfähig erwies. Sultan Mehmed IV. war sich dessen bewusst und begann im August desselben Jahres mit einem Heer von bis zu 300 000 Mann mit der Belagerung der Stadt. Dieses Heer war mit moderner Artillerie ausgestattet, die von den Franzosen bemannt wurde. Die polnische Garnison umfasste etwa 1600 bis 2000 Mann. Am 26. August 1672 übergaben die Polen Kamieniec an die Angreifer. Bei der Evakuierung der Burg kam es zu einer Explosion im Pulvermagazin, die später als Verzweiflungstat des Artilleriemajors Hejking (in dem bekannten Roman „Pan Wołodyjowski” Ketling genannt) gedeutet wurde, der angeblich zweihundert Fässer Schießpulver in Brand setzte. Unter den zahlreichen Opfern der Explosion befand sich der Kommandant der Festungsverteidigung, Jerzy Wołodyjowski, der Prototyp von Michał Wołodyjowski, dem Helden der Trilogie von Henryk Sienkiewicz.
Bis 1699 war Kamjanez zusammen mit ganz Podolien in der Hand der Türken und fiel dann an Polen-Litauen zurück. Nach der Zweiten Teilung Polens fiel es an Russland und nach 1920 an die Sowjetukraine.
Während des Zweiten Weltkriegs führten die Deutschen 1941 in Kamjanez eine Massenexekution der jüdischen Bevölkerung durch und erschossen in drei Tagen 23 600 Menschen, darunter mehrere tausend aus Ungarn deportierte Juden. Es war die erste groß angelegte Hinrichtung im Rahmen des Holocausts.